4.1 Herr Vida, Frau Dr. Enkelmann, Herr Strese, Herr Ronnger, Herr Hollmann, Herr Gemski, Herr Seeger, Frau Ziemann, Herr Meier, Herr Dr. Ueckert - Entscheidung über die Erhebung einer Klage gegen die Bescheide des Landrates des Landkreises Barnim vom 29.08.2011 in Sachen Beschlussbeanstandung bzgl. Teilerlass von Erschließungsbeiträgen
Frau Gaethke erläutert die von einer Gruppe von Stadtverordneten eingereichte Fraktionsvorlage und macht darauf aufmerksam, dass sich der Beschlussantrag nur damit befasst, ob die Klage erhoben werde oder nicht. Daher werde die Vorlage im öffentlichen Teil der Sitzung behandelt. Wenn über die bereits gefassten Beschlüsse gesprochen wird, müsse die Nichtöffentlichkeit hergestellt werden.
Herr Labod beantragt die namentliche Abstimmung. Es schließen sich vier Stadtverordnete dem Antrag von Herrn Labod an.
Frau Gaethke gibt das Wort an einen Vertreter der Einreicher der Vorlage, Herrn Vida.
Herr Vida erklärt, dass dieser Antrag die logische Konsequenz aus der Entwicklung der letzten Monate sei. Die Stadtverordnetenversammlung Bernau habe sich mehrfach einen politischen und juristischen Willen gebildet, den Teilerlass eines Erschließungsbeitragsbescheides im Zusammenhang mit dem Bau der Nelkenstraße zu gewähren. Das Verhalten der Kommunalaufsicht sei nur durch das Vorenthalten von Informationen durch die Stadtverwaltung Bernau erklärbar. Wichtige Dokumente lägen der Kommunalaufsicht und auch den Stadtverordneten nicht vor. Die Herrn Vida von der Dezernentin zugesicherte Akteneinsicht wurde ihm bis heute nicht gewährt. Die ihm von der Dezernentin zugesagte Übersendung von Kopien sei ebenfalls bis heute nicht erfolgt.
Es gäbe nun unterschiedliche Rechtsauffassungen: Der Bürgermeister sei der Auffassung, dass dieser Erlass nicht gewährt werden könne, die Mehrheit der Stadtverordneten habe mehrfach den Willen bekundet, dass er gewährt werden solle.
Es sei der normale Vorgang, dass dann, wenn die Kommunalaufsicht die Beschlüsse beanstande und damit erheblich in die kommunale Selbstverwaltung eingreife, der Stadtverordnetenversammlung der Klageweg eröffnet sei. Der Bürgermeister müsse die Klage führen, auch wenn er persönlich gegen diese Beschlussfassung gewesen sei. Herr Vida und die Einreicher seien optimistisch, dass im Wege der Rechtsfortbildung bzw. Rechtspräzisierung das Gericht zu dem Ergebnis komme, dass hier öffentliches Interesse gegeben sei.
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes sei nicht abschließend. Wer so argumentiere, reagiere treuewidrig. Die Verwaltung mache es sich zu einfach, die möglichst enge Rechtsauslegung zu wählen. Öffentliches Interesse sei ein dehnbarer Begriff, der so und so ausgelegt werden könne. Der Ausbau der Nelkenstraße 2006/2007 sei auf der Grundlage geschehen, dass es sich um eine Straßenausbau- und keine Erschließung sei. Darauf basiere die Willensbildung der Bürger. Dieser Willensbildungsprozess sei zu schützen. In anderen Kommunen werden regelmäßig Einwohnerbeteiligungssatzungen dahingehend umgeschrieben, dass die Bürger bei Straßenausbau und –erschließungsmaßnahmen in die Entscheidungen einzubeziehen sind.
Diese Situation rechtfertige auf Grund der Klagefrist eine Sondersitzung. Herr Vida appelliert, sich vor Augen zu führen, dass dem Bürger durch die Klage kein Nachteil entstehe. Wenn die Stadt Bernau mit der Klage Erfolg habe, müsse die Kommunalaufsicht die Kosten tragen. Unterliege die Stadt, müsse sie die Kosten tragen. Auch die mit den Bürgern vereinbarten Verrentungen oder Stundungen würden nicht torpediert werden.
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Für den Bürger selbst könne es nur besser werden. Es gehe heute weniger um die gesamtpolitische Bewertung dieser Sache, sondern darum, wie die Stadt mit den Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung umgehe. Es sei an der Zeit, den Willen der Bürgerschaft umzusetzen und Zeichen zu setzen, dass die Stadtverordnetenversammlung emanzipiert sei und wisse, was sie tue.
Frau Ziemann bedauert, dass eine Sondersitzung einberufen werden müsse, aber die Einreicher sehen keine andere Möglichkeit, eine Klärung innerhalb der Frist herbeizuführen. Der Mehrheitsbeschluss der Stadtverordneten wurde 3x vom Bürgermeister beanstandet und von der Kommunalaufsicht 2x für rechtswidrig erklärt. Nun gäbe es nur noch die Chance, eine Klärung von einem Gericht herbeiführen zu lassen. Es gehe nicht nur um Recht, sondern auch darum, der Bürgerschaft das Vertrauen in die demokratisch gewählten Gremien und ihre Entscheidungen zu erhalten und zu rechtfertigen.
Frau Ziemann kritisiert, dass in der letzten SVV eine Beanstandung der Kommunalaufsicht, die die Hauptsatzung betraf, offensichtlich 11 Monate in der Verwaltung hin- und hergeschoben und dann erst den Stadtverordneten zur Beschlussfassung zugeleitet wurde. Das sei ein Umgang nach Gutsherrenart. Sie bittet die Stadtverordneten, für eine gerichtliche Klärung bezüglich des Teilerlasses zu plädieren.
Herr Blümel mahnt Sachlichkeit an und spricht sich für eine Verständigung und gegen persönliche Angriffe aus. Er sei der festen juristischen Überzeugung, dass die Stadt richtig handele. Die Kommunalaufsicht sei ebenfalls der Meinung. Es gäbe kein juristisches Neuland, das betreten wird. Es gäbe rechtliche Rahmenbedingungen, nach denen sich gerichtet werden müsse. Für ihn ergibt sich die Frage, ob der Kommunalaufsicht wesentliche Unterlagen vorenthalten worden sind. Spätestens bei der Übergabe der Unterlagen an das Verwaltungsgericht würde festgestellt werden, ob der Vorwurf des Vorenthaltens von Unterlagen gerechtfertigt sei. Es können keine Subventionen gewährt werden, die nicht gewährt werden dürfen.
Herr Nickel kommt um 16.10 Uhr zur Sitzung.
Herr Handke richtet das Wort an Frau Ziemann und bedauert die von ihr angeschlagene Tonart, das sei kein Umgang miteinander.
Die von Herrn Vida gemachten Ausführungen zur Akteneinsicht entsprechen, so Herr Handke, nur zum Teil den Tatsachen. Herr Handke stellt klar, dass es zwischen der Übersendung von Akten und Akteneinsicht einen Unterschied gäbe.
Herr Handke stellt den Antrag, den Beschlussvorschlag zu ergänzen. Für den Fall, dass der Beschlussantrag eine Mehrheit erreicht, solle das Anwaltsbüro, das mit der Vertretung der Stadt beim Prozess beauftragt wird, nicht durch die Verwaltung, sondern im Hauptausschuss im Oktober 2011 durch die Stadtverordneten festgelegt werden. So könne der evtl. Vorwurf aus dem Weg geräumt werden, dass die Verwaltung einen nicht kompetenten Anwalt beauftragt habe.
Herr Hollmann erklärt, dass es um ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahre 2007 gehe. In diesem Urteil wurde präzisiert, was mit dem Erschließungsbeitrags- und Straßenbaurecht schon längst festgeschrieben worden war.
Es sei nur eine Präzisierung, was unter Straßenausbau und Erschließung zu verstehen sei. Es wurde entschieden, welche Straßen wie heranzuziehen sind. Dem habe sich die Stadt im Vorfeld schon bedient und die Verwaltung habe auf dieser Grundlage gearbeitet.
Die Stadtverordnetenversammlung habe Beschlüsse gefasst, die beanstandet wurden.
Da es in diesem Fall zwei grundsätzlich gegensätzliche Urteile der Kommunalaufsicht gebe, halte Herr Hollmann eine Richtigstellung auf rechtlichem Wege für sinnvoll.
Herr Labod spricht sich dafür aus, dem Antrag aus Gerechtigkeitsgründen entgegenzutreten. Es würde ein rechtlich aussichtsloses Verfahren angestrengt werden und es sei klar, dass die Anwalts- und Gerichtskosten der Stadt obliegen.
Nach Meinung von Herrn Labod sei ein Anwalt nicht nötig, da es genügend gute Mitarbeiter in der Stadt gäbe, das Verfahren selbst zu führen und auch kein Anwaltszwang bestünde.
Der Bürgermeister könne nicht gezwungen werden, gegen seinen Amtseid zu verstoßen. Durch einen entsprechenden Erlass würde er von der Gerechtigkeitsforderung abrücken. Der Bürgermeister und die Stadtverordneten seien dem Rechtsstaat verpflichtet, und müssen sich an Recht und Gesetz halten. Es sei ungerecht, gleiche Tatbestände ungleich zu behandeln und nur eine Gruppe von Betroffenen privilegieren. Die Exekutive habe sich an Recht und Gesetz zu halten.
Erst wenn der Tatbestand der unbilligen Härte vorliege, könne, aber müsse es nicht, zu einer Ermessensentscheidung kommen. Dieser Tatbestand läge hier aber nicht vor.
Herr Labod wird von Frau Gaethke mehrmals auf das Ende der Redezeit hingewiesen..
Herr Kirsch kommt um 16.26 Uhr zur Sitzung.
Herr Nickel erklärt, dass es sich nicht um eine Entscheidung des Bürgermeisters oder der Verwaltung, sondern um eine Entscheidung der Kommunalaufsicht handelt, die hier vorgetragen wird.
Herr Nickel stellt 2 Fragen:
1. Wieviel kostet eine evtl. Klage?
2. Gibt es Präzedenzfälle und wenn ja, wieviele?
Herr Goral stimmt im Interesse der Einreicher für den Änderungsantrag des Bürgermeisters. Es gab zum Thema Erlass von Erschließungsbeiträgen für die Stadtverordneten eine Schulung mit einem Spitzenanwalt. Dieser würde nach Meinung von Herrn Goral das Mandat nicht annehmen, weil er wisse, dass er diesen Prozess verlieren würde. Daher sei es gut, wenn der Einreicher auch den Anwalt bestimmt.
Herr Handke dankt Herrn Labod, dass er die Fachkompetenz der Verwaltung erwähnt hat. Die Stadt sei in vielen Verfahren vor Gericht erfolgreich, insbesondere im Erschließungsbeitragsrecht über 90 %. Er weist darauf hin, dass die Kosten bei einem Unterliegen der Stadt ihr auferlegt werden.
Die Fragen von Herrn Nickel beantwortet er wie folgt:
Zu 1.:
In der ersten Instanz sei von einer Summe von 6 bis 10 TEuro auszugehen.
Zu 2.:
Es gäbe Präzedenzfälle ähnlicher Art, häufiger in den alten Bundesländern, die Anzahl könne Herr Handke aber nicht benennen. Aus Brandenburg könne Herr Handke keinen Fall benennen. Es sei eher eine Besonderheit der neuen Bundesländer.
Der Anwalt bekomme in jedem Fall sein Geld, egal, wie das Urteil ausfällt. Wichtig sei noch, dass das Erschließungsbeitrags- und das kommunale Abgabenrecht durch die vielen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit weitestgehend ausgeurteilt sei.
Herr Handke verweist darauf, dass die Stadtverordneten an dieser Stelle nur die Option eröffnet haben, den ersten Verfahrensweg zu beschreiten, das Verwaltungsgericht. Je nachdem, wie dieses Urteil ausgeht, müsse evtl. über weitere Instanzen entschieden werden. Man müsse sich im Klaren darüber sein, dass mit Fristen von mehr als 3 Jahren gerechnet werden müsse.
Herr Blümel ergänzt, dass es eine Ungleichbehandlung sei, nur für einen kleinen Personenkreis eine Privilegierung zu schaffen. Die Beschlüsse müssen für alle gelten.
Neu am Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes sei, dass man sich gefragt habe, wann ist eine Straße im Sinne des Erschließungs- und Ausbaurechts eine Straße. Es wurde gesagt, eine Widmung reiche nicht, es müsse ein Mindestausbauzustand oder mindestens eine Planung vorliegen.
Herr Labod erklärt, dass jeder Betroffene das Recht habe, bei der Stadt einen Antrag auf Erlass zu stellen. Mit diesem Antrag auf Erlass und dem dann möglichen ablehnenden Bescheid könne sich der Bürger wehren und dann selbst den Rechtsweg bestreiten. Dann könne festgestellt werden, wie die Rechtslage zu beurteilen ist. Das wäre billiger für die Stadt.
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Herr Dr. Ueckert fragt, ob mit dem Erlass nicht die Schleusen geöffnet werden für frühere Entscheidungen im Beitragsrecht und dass Erschließungsbeiträge von Anliegern, die die Straße schon 10 oder 15 Jahre benutzen, geltend gemacht werden könnten. Als zweiten Gedanken äußert Herr Dr. Ueckert, eine Musterklage anzustrengen und nach Feststehen des Urteils dieses auf die anderen Anlieger zu übertragen. Dadurch würde sich der Gebührensatz und damit die Kosten für die Klage verringern.
Herr Vida erklärt, dass die Kommunalaufsicht innerhalb des letzten halben Jahres ihre Rechtsauffassung geändert habe. Noch im letzten Jahr wurde behauptet, es sei eine Ermessensentscheidung. Von nichts anderem werde hier seit Monaten gesprochen.
In der Beanstandung der Kommunalaufsicht gehe es in großen Teilen um Rechtsauffassungen, die nie von der Stadtverwaltung geäußert worden seien. Es wurde von den Stadtverordneten nie behauptet, dass eine unbillige Härte vorliege. Die Stadtverordneten reden seit Monaten von einer Ermessensentscheidung. Es wurden ihnen Unterlagen vorenthalten.
Am 14.07.2011 hat Herr Illge aus einem Schreiben der Kommunalaufsicht vom April vorgelesen, dieses läge den Stadtverordneten bis heute nicht vor.
Herr Vida ermahnt die Stadtverordneten, nicht so zu tun, als sei das Recht nicht entwicklungsfähig.
Herr Handke antwortet zu den Ausführungen von Herrn Vida, dass in den Unterlagen drei wesentliche Punkte enthalten seien: Vertrauensschutz, öffentliches Interesse und die persönliche und sachliche Unbilligkeit.
Er habe mehrfach darauf hingewiesen, dass zu den unbestimmten Rechtsbegriffen weitere Ausführungen gemacht werden müssen, um eine sachlich begründbare Entscheidung zu treffen. Diese seien regelmäßig nicht vorgetragen worden. Das werde auch bei der weiteren Rechtsprechung eine Rolle spielen, wenn Klage erhoben werde. Was unter öffentlichem Interesse zu verstehen ist, sei weitestgehend ausgeurteilt.
Die persönliche und ebenso die sachliche Unbilligkeit seien ebenfalls nicht vorgetragen worden. Es habe keine Vertiefung gegeben, dass man einen Ansatzpunkt für eine Entscheidung hätte. Herr Handke habe mehrfach angesprochen, diese Punkte belastbar zu belegen. Bedauerlicherweise sei das nicht passiert.
Zur Frage von Herrn Dr. Ueckert, ob diese Klage andere Bescheide nach sich ziehen würde, antwortet Herr Handke dass der Sachverhalt der Verjährung bestünde. Die Fälle hier betreffen aber nicht nur die sechs Bescheide, die sich in der Entscheidungssphäre der SVV befinden, sondern vielmehr.
Nach weiteren kurzen Meinungsäußerungen schließen sich die Einreicher dem Antrag des Bürgermeisters an und
es erfolgt die namentliche Abstimmung über die Fraktionsvorlage mit dem erweiterten Beschlusstext.
Abstimmungsergebnis: |
Ja-Stimmen: | 10 |
Nein-Stimmen: | 12 |
Enthaltungen: | 1 |
Stimmverhältnis: | mehrheitlich |
Ergebnis: | abgelehnt |